Wissenswertes über Krebs im Kindes- und Jugendalter
Etwa 2100 Kinder und Jugendliche erkranken bis zu ihrem 18. Lebensjahr in Deutschland pro Jahr an Krebs. Damit ist Krebs im Kindes- und Jugendalter eine seltene Erkrankung, jedoch nach Unfällen immer noch die zweithäufigste Todesursache bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Mit ca. 30% stellen Leukämien die häufigste Krebsform bei Kindern und Jugendlichen dar, gefolgt von Tumoren des Gehirns und des Rückenmarks (sogenannte ZNS-Tumoren, 24%) und dem Lymphdrüsenkrebs (14%). Im Gegensatz zu den meisten bösartigen Erkrankungen des Erwachsenenalters handelt es sich bei vielen Tumoren des Kindes- und Jugendalters um sogenannte embryonale Tumoren, die aus entartetem, unreifem Gewebe bzw. Keimgewebe entstanden sind.
Überlebenschancen und generelle Behandlungsprinzipien
Die Überlebenschancen sind dank verbesserter Therapiekonzepte in den vergangenen 40 Jahren deutlich gestiegen. So überleben heute über 80 % der erkrankten Kinder und Jugendlichen langfristig ihre Krebserkrankung. Dennoch: Krebs bei Kindern und Jugendlichen ist eine schwerwiegende Erkrankung, die eine sofortige umfangreiche Diagnostik und zumeist intensive Therapie in einem kinderonkologischen Behandlungszentrum notwendig macht. Die Behandlung folgt dabei einem standardisierten Protokoll, das abgestimmt auf besondere Risikofaktoren und Alter genau festgelegte Behandlungsanweisungen beinhaltet. Die konsequente Einhaltung der Therapiepläne und die Einarbeitung der Erkenntnisse aus vorherigen Studien in jeweils neue Behandlungsprotokolle haben wesentlich zur Verbesserung der Überlebenschancen beigetragen.
Trotz der guten Prognosen stellt die Diagnose Krebs nicht nur für das Kind sondern auch für seine Familie eine psychische wie soziale Belastung dar. Viele Familien berichten zum Zeitpunkt der Diagnose, der oft monatelangen intensiven Behandlung sowie der weiteren potentiellen Lebensbedrohung von zahlreichen psychosozialen Belastungen. Daher ist eine multiprofessionelle Begleitung ein wichtiger Teil des Behandlungsprozesses von Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter.
Einzelne Therapieelemente
Chemotherapie
Ein Großteil aller Krebspatient*innen im Kindes- und Jugendalter erhalten eine Chemotherapie. Diese wird in der Regel im Rahmen eines stationären Aufenthaltes über einige Tage verabreicht (sogenannter Chemotherapie-Zyklus). Die genaue Zusammensetzung der Chemotherapie sowie die Anzahl und Abfolge der Chemotherapiezyklen richten sich dabei nach der Diagnose und dem Behandlungsprotokoll. Die zur Verbesserung der Behandlungsprotokolle durchgeführten Therapieoptimierungsstudien zielen darauf ab die Effizienz der Krebsbehandlung zu steigern und die Nebenwirkungen einer Chemotherapie zu verringern.
Operation
Bei Tumoren wird oft eine Operation im Rahmen der Diagnosestellung durchgeführt, wobei ein kleines Gewebestück des Tumors zur Sicherung der Diagnose entnommen wird (sogenannte Biopsie). Viele Tumoren werden dann im Rahmen eines sogenannten neoadjuvanten Therapiekonzepts zunächst mittels einer Chemotherapie verkleinert und erst im Anschluss operativ entfernt. Damit soll eine mögliche Streuung von Krebszellen verhindert werden. Außerdem können sodie Chancen auf eine vollständige Entfernung verbessert und Komplikationen einer Operation verringert werden.
Strahlentherapie
Eine Strahlentherapie spielt z.B. bei der Behandlung von Hirntumoren und Knochen- und Weichteilsarkomen sowie Metastasen eine große Rolle. Neben der sogenannten konventionellen Strahlentherapie wird die Protonentherapie immer wichtiger, die ermöglicht das Tumorareal noch zielgerichteter zu bestrahlen und so die Folgen für das umliegende gesunde Gewebe zu verringern. In der Nuklearmedizin kommen radioaktive Substanzen zum Einsatz, die von Tumorzellen aufgenommen werden, dort ihre radioaktive Strahlung entfalten und somit die Tumorzelle von innen zerstören.
Blutstammzell-/Knochenmarktransplantation
Bei Blutstammzell- bzw. Knochenmarktransplantationen wird zwischen der Transplantation patienteneigener Stammzellen (autologe Stammzellen) und Stammzellen, die von gesunden Spender*innen stammen (allogene Stammzellen, z.B. eines Verwandten und eines Fremden) unterschieden. Diese Stammzellen, die im Knochenmark für die Blutbildung zuständig sind, nisten sich nach der Transplantation erneut im Knochenmark ein und sorgen dann wieder für eine adäquate Blutbildung.
Bei einigen soliden Tumoren wie z.B. dem Neuroblastom ist im Behandlungsprotokoll eine hochdosierte Chemotherapie vorgesehen, die das Knochenmark und damit die gesamte Blutbildung unweigerlich zerstört. Um hier die adäquate Blutbildung wiederherzustellen werden im Anschluss an die Hochdosischemotherapie die zuvor beim selben Patienten oder Patientin gesammelten und zwischenzeitlich eingefrorenen autologen Stammzellen wieder aufgetaut und transplantiert.
Bei einer allogenen Stammzelltransplantation werden Stammzellen eines Geschwisterkindes oder eines fremden Spenders oder Spenderin entnommen. Hierbei erfolgt die Auswahl u.a. nach 10 bestimmten Gewebemerkmalen, die zumindest zu 90% mit den Merkmalen des Patienten oder der Patientin übereinstimmen sollten. Auch ist inzwischen eine allogene Stammzelltransplantation zwischen dem Mutter oder dem Vater und dem betroffenen Kind möglich. Hierbei muss eine besondere Vor- und Nachbehandlung der Patient*innen erfolgen, da die Gewebemerkmale eines Elternteils nur zur Hälfte mit denen des Kindes übereinstimmen. Bei der allogenen Stammzelltransplantation haben die neuen Stammzellen nicht nur die Aufgabe, die Blutbildung sicherzustellen, sondern das neue für den Körper des Kindes „fremde“ Abwehrsystem soll zusätzlich die bösartigen Krebszellen erkennen und vernichten. Aber auch bei nicht bösartigen Erkrankungen des Blutes wie z.B. schweren Störungen des Abwehrsystems und der Sichelzellanämie kann durch die Transplantation von allogenen Stammzellen eine langfristige Heilung von der Erkrankung erreicht werden.
Innovative Therapieverfahren
In den letzten Jahren konnte durch den Einsatz verbesserter molekularbiologischer Techniken u.a. die Tumorzelloberflächen näher charakterisiert und die Kommunikation von Tumorzellen entschlüsselt werden. Darauf aufbauend wurden Medikamente entwickelt, die zielgerichtet Tumorzellen angreifen und zerstören können. So binden Antikörper auf spezielle Eiweißmoleküle auf der Tumorzelloberfläche und nutzen körpereigene Abwehrzellen zur Zerstörung der Tumorzellen. Auch kann zielgerichtet die Kommunikation von Tumorzellen gestört und somit deren Wachstum gehemmt werden. Dieses sind nur zwei von vielzähligen innovativen Therapieverfahren, die die Krebstherapie in Zukunft effizienter und weniger toxisch gestalten sollten.
Rehabilitationsmaßnahmen
Eine wichtige Hilfe zur Rückkehr in den Alltag nach der in der Regel 6-9 Monate andauernden Krebsbehandlung ist die Möglichkeit zur Durchführung einer familienorientierten Rehabilitationsmaßnahme in einem dafür spezialisierten Rehabilitationsszentrum. Die Patient*innen, aber auch ihre Eltern und Geschwister, erhalten dort während eines meist vierwöchigen stationären Aufenthalts umfassende Unterstützung zur körperlichen Regeneration und psychischen Stabilisierung.
Protokollbasierte Nachsorge
Meist 5-10 Jahre nach Ende der Behandlung sieht das Behandlungsprotokoll bestimmte diagnosespezifische Nachsorgeuntersuchungen vor. Diese dienen u.a. der rechtzeitigen Diagnose eines Rückfalls und helfen mögliche Spätfolgen der Behandlung früh zu erkennen. Meist werden die Besuche in der Klinik mit zunehmendem Abstand zum Therapieende seltener notwendig.
Spätfolgen und Langzeitnachsorge
Es gibt jedoch auch Spätfolgen, die erst viele Jahre nach der Therapie auftreten und/oder auch nach dem Nachsorge-Intervall noch einer regelmäßigen medizinischen Betreuung bedürfen. Je nach Krebsform und Behandlung zählen z.B. kardiovaskuläre, hormonelle und neurologische sowie neuropsychologische Einschränkungen zu den typischen Spätfolgen. Zu den hormonellen Spätfolgen gehören auch Einschränkungen des Wachstums sowie eine mögliche Unfruchtbarkeit, die wiederum im besonderen Ausmaß die weitere Lebensplanung mitbestimmen kann. Mögliche psychische Spätfolgen umfassen Depressionen, Angststörungen, aber auch Substanzmissbrauch und Verhaltensstörungen. Um Spätfolgen möglichst früh erkennen oder im besten Fall verhindern zu können, sind Langzeitnachsorgesprechstunden von besonderer Bedeutung.